BGH: Selbständige Schuldner müssen auch dann keine angestellte Tätigkeit aufnehmen, wenn keine pfändbaren Einkünfte erzielt werden

(BGH-Beschluss vom 13.6.2013 - IX ZB 38/10)

 

Entgegen der bislang herrschenden Auffassung bei Insolvenzverwaltern und Gerichten hat der BGH jetzt festgestellt, dass ein selbständig tätiger Schuldner auch dann nicht gezwungen ist eine angestellte Tätigkeit aufzunehmen, wenn sein Einkommen aus der selbständigen Tätigkeit unterhalb der Pfändungsgrenze liegt.

 

Von dieser höchstrichterlichen Entscheidung, die zur Veröffentlichung vorgesehen ist, können alle Schuldner profitieren, denen im laufenden Insolvenzverfahren vom Insolvenzverwalter vorgehalten wird, dass sie statt der Ausübung einer selbständigen Tätigkeit zur Aufnahme einer angestellten Tätigkeit verpflichtet seien!   

 

Der Schuldner übte seit Eröffnung des (Regel-) Insolvenzverfahrens eine selbständige Tätigkeit als Handelsvertreter aus, die vom Insolvenzverwalter freigegeben war und erzielte hieraus Einkünfte unterhalb der Pfändungsfreigrenze. Der Insolvenzverwalter informierte den Schuldner darüber, dass er verpflichtet sei, die Gläubiger so zu stellen, als ob er eine angemessene unselbständige Tätigkeit ausüben würde (vgl. § 295 Abs. 2 InsO). Auskünfte über das im Rahmen einer angemessenen unselbständigen Tätigkeit erzielbare Einkommen hat der Schuldner dem Insolvenzverwalter nicht erteilt. In seinem Schlussbericht hat der Insolvenz festgehalten, dass der Schuldner als gelernter Industriekaufmann ein weitaus höheres Nettoeinkommen als durch seine selbständige Tätigkeit erzielen können, der Schuldner hierzu aber keine Nachweise erteilt habe und daher ein Grund zur Versagung der Restschuldbefreiung wegen Verstoßes gegen die insolvenzrechtliche Mitwirkungspflichten nach § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO vorliegen würde.

 

Auf Antrag mehrerer Gläubiger wurde dem Schuldner durch Beschluss des Insolvenzgerichts die Restschuldbefreiung versagt, unter Hinweis auf den Schlussbericht des Insolvenzverwalters und die darin festgehaltene angebliche Verletzung seiner Mitwirkungspflichten. Konkret hat das Gericht dem Schuldner vorgeworfen, dass er keine hinreichenden Angaben zu den von ihm erzielbaren fiktiven Einkünfte aus einem angemessenen angestellten Arbeitsverhältnis gemacht habe.  

 

Die hiergegen eingelegte Beschwerde des Schuldners wurde vom Landgericht Stade (Beschluss vom 18.02.10, 7 T 219/09) zurück gewiesen. Der Bundesgerichtshof hat der Rechtsbeschwerde des Schuldners stattgegeben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurück verwiesen.

 

Die Leitsätze des BGH lauten:    

 

a) Der eine Restschuldbefreiung anstrebende Schuldner ist bei mangelndem wirtschaftlichem Erfolg seiner freigegebenen selbstständigen Tätigkeit vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens nicht verpflichtet, ein abhängiges Dienstverhältnis einzugehen.

 

b) Der Schuldner hat umfassend über seine Einnahmen aus der selbstständigen Tätigkeit Auskunft zu geben, wenn er geltend macht, im Hinblick auf mangelnde Erträge keine oder wesentlich niedrigere Beträge, wie nach dem fiktiven Maßstab des § 295 Abs. 2 InsO geboten ist, an die Insolvenzmasse abführen zu können.

 

Zur Begründung seiner Entscheidung hat der BGH ausgeführt, dass die Grundsätze des § 295 Abs. 2 InsO, wonach der Schuldner die sich aus einer angemessenen fiktiven Anstellung ergebenden pfändbaren Einkünfte an den Treuhänder abführen muss, ausdrücklich nur für die Laufzeit der Abtretungserklärung gelten, also für den Zeitraum, der sich an die Aufhebung des Insolvenzverfahren anschließenden Wohlverhaltensperiode. Vorliegend war das Insolvenzverfahren aber nicht aufgehoben worden, so dass die Regelung ausschließlich über den Hinweis in § 35 Abs. 2 InsO zur Anwendung kommen kann. Danach gilt § 295 Abs. II InsO „entsprechend“, wenn die selbständige Tätigkeit des Insolvenzverwalters im laufenden Insolvenzverwalter freigegeben worden ist. Wegen des systematischen Unterschiedes zwischen dem Insolvenzverfahren und der sich anschließenden Wohlverhaltensperiode, so der BGH,  können die zu § 295 Abs. II InsO entwickelten Grundsätze nicht unmittelbar auf den Anwendungsbereich des § 35 InsO übertragen werden.  Eine Verpflichtung des Schuldners im Insolvenzverfahren anstelle der freigegebenen selbständigen Tätigkeit eine abhängige Beschäftigung aufzunehmen, gäbe es nicht. Dies folge auch daraus, dass der Schuldner im Insolvenzverfahren, anders als während der Wohlverhaltensperiode, nicht einmal dazu verpflichtet sei, überhaupt einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Im Ergebnis hat der BGH für den konkreten Fall festgestellt: „Der Schuldner muss nur dann etwas abführen, wenn er tatsächlich Gewinn aus seiner selbständigen Tätigkeit erzielt hat. Die Abführungspflicht ist aber der Höhe nach beschränkt gemäß dem Maßstab des § 295 Abs. 2 InsO.“

Gern können Sie mich wegen Fragen zu möglichen Auswirkung dieser Entscheidung auf Ihr Insolvenzverfahren kontaktieren.

 

 

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